Kurzbiografie

Wilhelm Gieseler

Wilhelm Gieseler studierte Anthropologie und Medizin in Heidelberg, Freiburg und München. Mit 25 Jahren habilitierte er sich bei dem Münchener Anthropologen Theodor Mollison, dem wissenschaftlichen Ziehvater einer ganzen Generation späterer NS-"Rassen"-Forscher, darunter Josef Mengele.

1934 wurde Gieseler an der Universität Tübingen Extraordinarius für Rassenkunde und Direktor des gleichnamigen, im Schloss Hohentübingen eingerichteten Instituts. Im selben Jahr trat er dem NS-Lehrerbund und dem NS-Dozentenbund (NSDBB) bei, außerdem der SA. 1937 wechselte er in die Allgemeine SS. NSDAP-Mitglied war er seit dem Mai 1933. In Tübingen installierte Gieseler in den 1930er Jahren eine "Schwäbische Rassenkunde", wurde Kreisbeauftragter des Rassenpolitischen Amts der NSDAP (RPA) und schrieb "Rassegutachten" für Gesundheitsämter und das Reichssippenamt (RfS). 1938 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor für Rassenbiologie, 1939 der Eintritt in die vor Ort eingerichtete Forschungsstelle für Rassenkundliche Kolonialwissenschaft.

Der Einfluss seines Instituts, an dem auch Sophie Ehrhardt und Hans Fleischhacker tätig waren, ging über den Tübinger Kontext hinaus. Gieselers Buch Abstammungs- und Rassenkunde des Menschen (1936) wurde ein Standardwerk der NS-Rassenanthropologie. 1937 übernahm Gieseler den Vorsitz über die Deutsche Gesellschaft für Rassenforschung. Im Zweiten Weltkrieg bildete er für das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS (RUSHA) sogenannte "Eignungsprüfer" aus, die in den besetzten Ostgebieten die Umsetzung der genozidalen "Umsiedlungs"-Politik des NS-Regimes unterstützten. 1944 wurde Gieseler, der zuletzt den Rang eines SS-Hauptsturmführers inne hatte, in den Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen aufgenommen.

Nach Kriegsende vorübergehend interniert und von der Universität suspendiert, übernahm Gieseler 1955 erneut die Leitung des inzwischen umbenannten Instituts (für Anthropologie; ab 1961: Institut für Anthropologie und Humangenetik). 1962 erhielt er zudem die Wiederernennung zum ordentlichen Professor. Gieseler wurde 1969 mit Erreichen der maximalen Altersgrenze emeritiert.

  1. Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2007², S. 184.

  2. Kolata, Jens / Kühl, Richard, "Wilhelm Gieseler und das Rassenkundliche Institut", in: Seidl, Ernst (Hg.), Forschung – Lehre – Unrecht. Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Tübingen 2015, S. 107-111.

  3. Kröner, Hans-Peter, Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege, Stuttgart 1998.

  4. Potthast, Thomas / Hoßfeld, Uwe, "Vererbungs- und Entwicklungslehren in Zoologie, Botanik und Rassenkunde/Rassenbiologie. Zentrale Forschungsfelder der Biologie an der Universität Tübingen im Nationalsozialismus", in: Wiesing, Urban / Brintzinger, Klaus Reiner / Grün, Bernd / Junginger, Horst / Michl, Susanne (Hg.), Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Stuttgart 2010, S. 435-482.