Kurzbiografie

Richard Jäger

Richard Jäger studierte von 1930 bis 1934 Bauingenieurwesen an der TH Stuttgart und schloss als Diplom-Ingenieur ab. Er war laut Entnazifizierungsakte 1933/34 SA-Anwärter, seit 1935 Mitglied der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF), seit 1937 Mitglied der "Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt" (NSV), 1938/39 des "Nationalsozialistischen Fliegerkorps" (NSFK – förderndes Mitglied), seit 1941 des "Nationalsozialistischen Bund Deutscher Technik" (NSDBT) und ebenfalls seit 1941 der NSDAP (Anwärter). Von Januar 1934 bis Oktober 1935 diente er bei Reichswehr und Wehrmacht. Ab 1935 arbeitete er im Straßenbauamt Saarbrücken. Von 1935 bis 1937 war Jäger Sachbearbeiter für Verkehrsplanung, Wasserwirtschaft und Städtebau bei der Landesplanungsgemeinschaft Saarpfalz in Saarbrücken, 1937 Leiter der Hauptgeschäftsstelle Saarbrücken, 1938 Stellvertretender Landesplaner für die Saarpfalz, 1940 Planungsreferent des Wiederaufbauamtes Saarpfalz bei der Regierung in Saarbrücken. Von November 1941 bis April 1945 leistete er Kriegsdienst. Jägers Tätigkeit im Saarland bis 1945 ist zwar noch nicht erforscht; bekannt ist aber, worum es dort bei Landesplanung und Wiederaufbau ging: Nämlich einerseits um Schließung bzw. Enteignung landwirtschaftlicher Kleinstbetriebe, andererseits um Verwirklichung des "Planungsziel[s] ideales nationalsozialistisches Dorf: modern, maschinen- und parteigerecht"1 (vor dem Hintergrund der Entvölkerung ganzer Dörfer während des Westwall-Baus), und schließlich, nach der Besetzung Frankreichs, um die Umsiedlung saarpfälzischer Landwirte nach Lothringen, von wo 100.000 Franzosen vertrieben wurden und welches "germanisiert" werden sollte. Die Aktenbestände des Wiederaufbauamtes Saarbrücken gingen 1942 bei einem Luftangriff verloren, diejenigen der Landesplanungsgemeinschaft wurden von deren Mitarbeitern in den ersten Nachkriegswintern verheizt. Von 1945 bis 1946 war Jäger Referent für Landesplanung und Wiederaufbau beim Oberregierungspräsidium Hessen-Pfalz in Neustadt/Weinstraße. Danach, von 1946 bis 1950, hatte er zusammen mit seinem Bruder, dem Architekten Dipl.-Ing. Otto Jäger, in Stuttgart ein selbständiges Architekturbüro. Im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens wurde er 1948 als "Mitläufer" eingestuft. Von 1950 bis 1955 war Jäger Referent für Landesplanung und sozialen Wohnungsbau im saarländischen Ministerium für öffentliche Arbeiten und Wiederaufbau. 1951 wurde er zum Oberregierungsrat und Oberbaurat a.W. ernannt. 1954 übernahm er das Tiefbaureferat. Von 1953 bis 1955 war Jäger Technischer Berater der Universität des Saarlands. Von 1955 bis 1957 arbeitete er als selbständiger Planungsingenieur in Stuttgart. Am 1. März 1957 wurde Richard Jäger Baudirektor der Universitätsstadt Tübingen: zunächst Stadtoberbaurat, ab 1959 Stadtbaudirektor. Im Oktober 1960 wurde er Zweiter Beigeordneter und 1968 per Wiederwahl in diesem Amt bestätigt. 1970 wurde dem Zweiten Beigeordneten die Amtsbezeichnung "Bürgermeister" verliehen. 1977 ging Jäger in den Ruhestand.

Einzelnachweise

Mehr
  1. Krebs 2009, S. 6.
  1. Freund, Wolfgang, "Rassen- und Bevölkerungspolitik in einem expandierenden Gau: Rheinpfalz – Saarpfalz – Westmark", in: John, Jürgen / Möller, Horst / Schaarschmidt, Thomas (Hg.), Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen "Führerstaat", München 2007, S. 334-347.

  2. Krebs, Gerhild, "Nationalsozialistische Dorfarchitektur und Raumplanung im Saarland und in Lothringen (1939/1940-1944)", in: Hudemann, Rainer unter Mitarbeit von Hahn, Marcus / Gerhild Krebs / Großmann, Johannes (Hg.), Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaus dans l'espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken, 20093 <memotransfront.uni-saarland.de/pdf/nationalsozialistische_dorfarchitektur.pdf> (letzter Zugriff: 30.04.2020).

  3. Mai, Uwe, "'Neustrukturierung des deutschen Volkes'. Wissenschaft und soziale Neuordnung im nationalsozialistischen Deutschland", in: Heinemann, Isabel / Wagner, Patrick (Hg.), Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 73-92.

  4. Mai, Uwe, "Rasse und Raum". Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn u.a. 2002.

  5. Mai, Uwe, Ländlicher Wiederaufbau in der "Westmark" im Zweiten Weltkrieg, Kaiserslautern 1993.

  6. Muskalla, Dieter, "Zerstörung und 'Neugestaltung' von Siedlungsstrukturen während der NS-Zeit (Saar / Pfalz / Lothringen)", in: Saarpfalz-Hefte. Blätter für Geschichte und Volkskunde 2 (1998), S. 5-24.

  7. Rüggeberg, Jens, "Vom Nazidiplomaten zum Nachkriegsoberbürgermeister. Hans Gmelin und die Vergangenheit, die nicht vergeht", in: VVN-BdA Kreisvereinigung Tübingen-Mössingen 2011 <tuebingen.vvn-bda.de/2017/12/12/vom-nazi-diplomaten-zum-nachkriegsoberbuergermeister-hans-gmelin-und-die-vergangenheit-die-nicht-vergeht> (letzter Zugriff: 28.04.2020).

  1. Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL): EL 902/20 Bü 97807 kpl. Entnazifizierungsakte.

  2. Stadtarchiv Tübingen (SAT): A 510. Personalakte Jäger.