Langbiografie

Eugen Schneck

Eugen Schneck (1906-1968): Kreisobmann der NSBO, stellvertretender Kreisobmann der DAF, Mitarbeiter der NSDAP-Ortsgruppe Tübingen-Universität

Eugen Schneck, geboren am 7. März 1906 in Hagelloch (Kreis Tübingen, heute ein Stadtteil von Tübingen), arbeitete ab 1927 als Weichenwärter-Aushelfer für die Bahnmeisterei der Reichsbahn in Tübingen.1 Ab 1. Dezember 1930 war er frühes Mitglied in der NSDAP, er engagierte sich von 1931 bis 1933 bei der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation), die er von November 1931 ab als Kreisobmann in Tübingen anführte, einer nationalsozialistischen Arbeitervereinigung.2 Die NSBO war keine Gewerkschaft. Im Jahr 1928 gegründet, hatte sie die Aufgabe, sich innerhalb der Betriebe ideologisch für den Nationalsozialismus einzusetzen und für ihn zu werben, nicht allerdings gewerkschaftlich aktiv werden.3 Hauptaufgabenpunkt war die ideologische Schulung der Arbeiter entlang der nationalsozialistischen Weltanschauung sowie das Zuführen geeigneten Personals für die Deutsche Arbeitsfront (DAF).4 Schneck war im Dezember 1931 in den Gemeinderat in Tübingen gewählt worden und somit auch unter den ersten vier NSDAP-Mitgliedern im Tübinger Gemeinderat neben dem Friseurobmeister Hans Keck, dem kaufmännischen Angestellten Walter Schurr und dem Rechtsanwalt Max Stockburger.5 Die Stelle als Weichenwärter-Aushelfer sowie die Tätigkeit als Kreisobmann bei der NSBO wurden von Schneck im April 1934 aufgegeben, da er nun eine Anstellung als stellvertretender Kreisobmann6 und Fachredner7 bei der DAF Tübingen annahm. Die DAF war, ebenso wie die NSBO, keine Gewerkschaft.8 Mit rund 23 Millionen Mitgliedern war sie die größte Massenorganisation der Nationalsozialisten, wobei auch hier ideologische Schulungen sowie die Kontrolle über lebensweltliche Bereiche, insbesondere Arbeit, im Vordergrund standen.9

Seine Tätigkeit als Fachredner wurde von Schneck in seiner schriftlichen Darstellung der politischen Tätigkeiten während des späteren Prozesses nicht erwähnt.10 In einem Entlastungszeugnis, welches von einem Alfred Paulsen, Buchdrucker in der Firma "Buchdruckerei von H. Laupp jr." verfasst wurde, weist dieser darauf hin, dass Schneck im Rahmen seiner Position in der DAF über eine Denunziation an Paulsen die Verhandlung führte.11 Diese Tätigkeit weist auf eine gewisse Autorität Schnecks in der Tübinger NSDAP-Hierarchie hin. Paulsen beschrieb Schneck als einen Idealisten, "der einer guten Sache zu dienen fest überzeugt ist".12 So wurde der propagandistische Aktivismus wie im Falle Schneck, der das verbrecherische System der Nationalsozialisten unterstützte, allzu oft verharmlost. Auch von Betriebsversammlungen in der Buchdruckerei Laupp ist die Rede, die Schneck geleitet habe, und in denen er "konzeptierte Anregungen und Anordnungen"13 im Rahmen der NS-Ideologie vortrug. Schneck ist als ideologisch gefestigter Propagandist und Redner ein wichtiger Akteur und Verbreiter der NS-Ideologie im Tübinger Raum. Schneck gab zwar in seinem Entnazifizierungsbogen an, keine Schriftwerke und Reden mit politischen Inhalten veröffentlicht oder verfasst zu haben,14 wohl aus Selbstschutz, allerdings lassen sich Gegenbeispiele nicht allzu schwer finden. So existiert ein Artikel über eine Rede Schnecks in Pliezhausen, erschienen in der Tübinger Chronik vom 22. Oktober 1935, unter dem Titel "Von unserer Front – Versammlungswelle der NSDAP im Kreis Tübingen". Diese Rede Schnecks vor etwa 150 Personen mit dem Thema "Der Führer ist die Partei, die Partei ist Deutschland" befasste sich mit den Pflichten jedes "Volksgenossen", den "Führer" zu unterstützen. Die Abwesenheit der "Volksgenossen [...], welche am ehesten Grund hätten, sich einmal Gedanken über die nationalsozialistische Weltanschauung zu machen", wurde von Schneck bemängelt. Weiter rief Schneck dazu auf, die schwere Arbeit, die Hitler für den Aufbau des "Dritten Reiches" geleistet habe, zu wertschätzen und den Maßnahmen der NSDAP mit Verständnis zu begegnen. Auch über die "Judenfrage", mit Bezug auf die frisch verabschiedeten Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, sprach Schneck.15 Auch hier zeigt sich, dass Schneck ideologisch voll auf Parteikurs, und somit antisemitisch agierte. Weiter wird Schneck in dem Artikel wiedergegeben, dass es nur einen Führer gebe, "dem wir vertrauen dürfen und der für uns immer Vorbild sein soll." Die Veranstaltung wurde dann "mit einem Sieg Heil auf den Führer und dem Horst-Wessel-Lied […] geschlossen". Schneck betätigte sich hier aktiv am Führerkult sowie der antisemitischen Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten und leistete somit ideologische Beihilfe zu den Verbrechen der Nationalsozialisten. Eine derartige Unterschlagung seiner politischen Tätigkeiten durch Reden hätte, falls sie bekannt geworden wäre, seiner späteren Einstufung als "Minderbelasteter" wohl im Wege gestanden. Zwar kann Schneck nicht mit höheren Funktionären hinsichtlich seiner Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen verglichen werden; allerdings zeigen seine Handlungen und Reden, dass er nicht nur Nutznießer, sondern auch aus Überzeugung aktiver Unterstützer des NS-Regimes war.

Als Gemeinderat vertrat Schneck konsequent die Positionen der NSDAP, beispielsweise indem er durch Anträge den Gebrauch nationalsozialistischer Sprache auf Gemeindeebene durchsetzen wollte. So bemängelte er im Gemeinderat, dass in Amtsschreiben Grußformeln wie "Hochachtungsvoll" nicht durch "Heil Hitler" ersetzt wurden.16

Anhand seiner Reden und dieses Einsatzes für die Verbannung nicht-nationalsozialistischer Sprache aus Amtsprozessen lässt sich schließen, dass Schneck hochpolitisiert war. In späteren Stellungnahmen während seiner Verhandlung berief er sich darauf, nur die Interessen der Arbeiterschaft verfolgt zu haben.17 Hier bezeichnet sich Schneck als Idealisten, dessen einziges Ziel das Wohlergehen der Arbeitnehmer war.18 Dass er weder je wirklich gewerkschaftliche Arbeit verrichtete noch für die Interessen der Arbeiter einstand, wird an der von ihm mit betriebenen Postenklüngelei für NSDAP-Mitglieder erkennbar. So versuchte Schneck in seiner Zeit als Gemeinderat, Parteimitglieder mit städtischen Posten zu versorgen, beispielweise im Fall Karl Mannherz. Für die Übernahme des Straßenwärters und NSDAP-Mitglieds in eine Verwaltungsstelle setzte sich Schneck mit Anträgen im Gemeinderat ein.19 Es wurden in Tübingen im Rahmen der "Sonderaktion zur Vermittlung arbeitsloser Mitglieder der nationalen Wehrverbände" Versuche unternommen, weitreichend Posten an Parteimitglieder zu vermitteln, allerdings waren oftmals die Qualifikationen der Partei- oder Organisationsmitglieder doch zu weit von den Anforderungen entfernt, die die jeweiligen Positionen bedingten.20 Von derartigen Versorgungsmaßnahmen für Parteimitglieder profitierte Schneck später selbst, als er sich Ende 1937 für eine Stelle als Hausverwalter im städtischen Gutleuthaus bewarb.21 Sein Status als "alter Kämpfer" sowie seine Tätigkeit für die NSDAP, NSBO und DAF wurden als Verdienste aufgeführt; weiter sprach sich der ehemalige Kreisleiter von Tübingen und Gaugeschäftsführer, Helmut Baumert, in einem Brief an den Oberbürgermeister Tübingens für die Anstellung Schnecks aus.22

Schneck war somit Mitglied des Gemeinderats und Angestellter, später Beamter, eben bei der Stadt Tübingen. Ein solcher Interessenskonflikt wurde allerdings unter den Nationalsozialisten nicht als problematisch angesehen wie noch zur Zeit der Weimarer Republik. Nun mit einer Gemeindestelle versorgt, legte Schneck die Ämter, die er in der DAF innehatte, nieder.23 Im darauf folgenden Jahr wurde Schneck gar aus dem Angestelltenverhältnis entlassen und verbeamtet, mit dem Verweis auf Schneck als "Kämpfer der Sonderaktion I", auch wieder unter Zutun Baumerts.24 Ab Juni 1941 arbeitete Schneck neben seiner Tätigkeit im Gutleuthaus weiter als stellvertretender Kreiskassenleiter der NSDAP im Kreis Tübingen.25

Zur Wehrmacht wurde Schneck nach eigenen Angaben aufgrund eines Herzfehlers und akuten Gelenkrheumas nicht einberufen, wohl aber sein Vorgänger in der Stelle als Kreiskassenleiter.26 Ab 1944 arbeitete Schneck in der NSDAP-Ortsgruppe Tübingen-Universität mit, laut eigener Aussage auf Bitten des Ortsgruppenleiters Siess, wobei Schneck angab, kein bestimmtes Amt innezuhaben.27 Vielmehr sei er für einzelne Tätigkeiten kontaktiert worden, weitere Einsichten in seine Tätigkeiten beschrieb Schneck nicht.28 Diese Tätigkeit, seine Arbeit im Gemeinderat und seine Tätigkeit als Hausverwalter im Gutleuthaus übte Schneck bis Kriegsende aus. Am 27. August 1945 kam Schneck in französische Haft und wurde in Balingen interniert.29

Es folgten mehrere Verfahren. Die Verhandlung zur weiteren Einstufung Schnecks, der in der Haftzeit um frühe Entlassung gebeten hatte, fand am 16. April 1948 statt, er wurde in die "Gruppe 3–Minderbelastet" eingestuft und freigelassen.30 Im Urteilsspruch wird zwar darauf verwiesen, dass Schnecks Tätigkeiten - die Reden werden nicht benannt - ihn die Gruppe der Belasteten zugehörig erscheinen lassen, allerdings werden mildernde Umstände berücksichtigt, so beispielsweise die Entlastungszeugnisse, von denen viele ihm ein gutes Benehmen in seiner Anstellung als Hausverwalter im Gutleuthaus Tübingen attestieren.31 Zumindest wird ihm Nutznießertum attestiert, mit Verweis auf seine Einstellung im Gutleuthaus, die nur über seine Parteimitgliedschaft und seine Tätigkeiten erklärbar sei.32 Es kann davon ausgegangen werden, dass Schnecks Fall auch deshalb milde bewertet wurde, da das Lager Balingen im September 1947 in deutsche Verwaltung überging und man versuchte, die damals hauptsächlich als "Mitläufer" eingeschätzten Internierten möglichst schnell wieder in die Gesellschaft zu integrieren.33 Es wurde befürchtet, dass die weitere Gefangenschaft der Internierten aus ihnen Märtyrer für den Nationalsozialismus machen könnte. Die zum Zwecke der politischen Säuberung eingesetzten Spruchkammern klassifizierten die Internierten weitgehend als "Minderbelastet" oder als "Mitläufer", wogegen sich die französische Militärregierung aussprach.34 Von den 242 ersten Fällen, die vor den Spruchkammern verhandelt wurden, gab es nur sechs Mal das Urteil "Belastet".35

Schnecks Fall zeigt deutlich, dass auf den unteren Verwaltungsebenen in der NSDAP und den angeschlossenen Organisationen eine rege Bereitschaft herrschte, den Nationalsozialismus zu stärken und dessen Ideologie zu verbreiten. Hinsichtlich seiner Aktivitäten in den 1930er und 1940er Jahren bis Kriegsende zeigt sich, dass Eugen Schneck nicht etwa ein Mitläufer war, der von den Nationalsozialisten hinters Licht geführt wurde. Vielmehr sieht man an seiner Karriere, wie Personen auf der unteren Parteiebene durch ihre Handlungen und Aktivitäten das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten ermöglicht und gestützt sowie auch davon profitiert haben. Schneck, der der NSDAP vor 1933 beigetreten ist, stellte sich bereitwillig in den Dienst des NS-Regimes und war als Aktivist für dessen Verbreitung und Stärkung im Tübinger Raum mitverantwortlich. Eugen Schneck starb am 16. Mai 1968 in Tübingen.36

Einzelnachweise

Mehr
  1. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Fragebogen vom 8.5.1946.
  2. Ebd.
  3. Benz 1997, S. 600-601; Kratzenberg 1987, S. 120f.
  4. Benz 1997, S. 601.
  5. Schönhagen 1991, S. 394.
  6. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Stellungnahme vor der Spruchkammer vom 16.7.1948.
  7. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Bewerbung für die Stelle im Gutleuthaus vom 15.1.1938.
  8. Kratzenberg 1987, S.155f.
  9. Benz 1997, S. 418f.
  10. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Stellungnahme Schnecks vom 16.7.1948.
  11. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Entlastungszeugnis Paulsen.
  12. Ebd.
  13. Ebd.
  14. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Fragebogen vom 8.5.1946.
  15. "Von unserer Front – Versammlungswelle der NSDAP im Kreis Tübingen", in: Tübinger Chronik vom 22.10.1935.
  16. SAT: Gemeinderatsprotokoll vom 25.3.1935, § 288; siehe auch Geschichtswerkstatt Tübingen 2012, S.21.
  17. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Bitte um Entlassung an Dr. Hackemann mit Stellungnahme zu Aktivitäten in NSDAP und angegliederten Vereinen.
  18. Ebd.
  19. Schönhagen 1991, S. 134.
  20. Ebd.
  21. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Bewerbung für die Stelle im Gutleuthaus, 15.1.1938.
  22. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Eilbrief Baumerts vom 17.1.1938 betreffend Stelle im Gutleuthaus.
  23. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Fragebogen vom 8.5.1946.
  24. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Brief Baumerts vom 3.11.1938 betreffend Verbeamtung.
  25. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Bitte um Entlassung an Dr. Hackemann mit Stellungnahme zu Aktivitäten in NSDAP und angegliederten Vereinen.
  26. Ebd.
  27. Ebd.
  28. Ebd.
  29. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Bitte um Entlassung an Dr. Hackemann mit Stellungnahme zu Aktivitäten in NSDAP und angegliederten Vereinen.
  30. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Spruch vom 16.4.1948.
  31. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Entlastungszeugnisse.
  32. StAS: Wü 13 T2 Nr. 2674/022, Spruch vom 16.4.1948, Urteilsbegründung.
  33. Steinhart 1991, S. 258f.
  34. Steinhart 1991, S. 259.
  35. Ebd.
  36. Schriftliche Auskunft des Stadtarchivs Tübingen vom 12.11.2020.
  1. Benz, Wolfgang / Graml, Hermann / Weiß, Hermann (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997.

  2. Geschichtswerkstatt Tübingen (Hg.), Forschungsbericht: Zwangsweise ausgeschiedene Tübinger Stadträte 1933/1934 und deren Verhältnis bzw. Verbindung zum Nationalsozialismus, Tübingen 2012.

  3. Kratzenberg, Volker, Arbeiter auf dem Weg zu Hitler? Die nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation ihre Entstehung, ihre Programmatik, ihr Scheitern 1927-1934, Frankfurt am Main 1987.

  4. o.N., "Von unserer Front – Versammlungswelle der NSDAP im Kreis Tübingen", in: Tübinger Chronik vom 22.10.1935.

  5. Schönhagen, Benigna, Tübingen unterm Hakenkreuz: Eine Universitätsstadt in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1991.

  6. Steinhart, Margarete, Balingen 1918-1948: Kleinstadt im Wandel, Balingen 1991.

  1. Staatsarchiv Sigmaringen (StAS): Wü 13 T2 (Staatskommissariat für die politische Säuberung) Nr. 2674/022. Schneck, Eugen aus Hagelloch Kreis Tübingen (Geburtsort); Tübingen geb. am 6. März 1906.

  2. Stadtarchiv Tübingen (SAT): Gemeinderatsprotokoll vom 25.3.1935.