Langbiografie

Gotthold Wankmüller

"Aus kleinlicher Angst überall beteiligt": Gotthold Wankmüller (1889-1962)

Seit Juni 1940 war Gotthold Griesinger als Hauptmann der Wehrmacht im badischen Emmendingen stationiert, seine Tätigkeit als Kreisleiter des Tübinger Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) ruhte. Aber Ende 1941 beunruhigte ihn eine anstehende Personalentscheidung so stark, dass er beim NSDAP-Amt für Erzieher (der Aufsichtsbehörde über den NSLB) in Stuttgart protestierte: Ausgerechnet Gotthold Wankmüller solle Nachfolger des überraschend gestorbenen Bezirksschulrats Paul Ehni werden – "die Kameraden sind entsetzt!" Wankmüller habe als Schulrat in Nürtingen-Kirchheim "beleidigend und herzlos" regiert und sei dort ausgesprochen gefürchtet. Deshalb dürfe er, so Griesinger, unter keinen Umständen Bezirksschulrat in Tübingen werden.1

Beim Amt für Erzieher blitzte Griesinger ab: Kaum jemand habe in den vergangenen Jahren so viel Parteieifer an den Tag gelegt wie Wankmüller! Folglich wurde er der Nachfolger Paul Ehnis – und kehrte damit nach Tübingen zurück.2

Gotthold Julius Wankmüller, geboren am 21. April 1889 in Stuttgart, seit 1908 im Volksschuldienst, war Ende 1920 als Oberlehrer an die Volksschule (spätere Silcher-Volksschule) Tübingen gekommen, ab 1922 war er dort Rektor; 1929 wechselte er als Bezirksschulrat nach Nürtingen. Politisch hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits nach rechts orientiert: Ursprünglich war er vermutlich Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gewesen, von 1924 bis 1931 gehörte er der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an; bis zu seinem Wegzug nach Nürtingen war er deren Schriftführer in Tübingen.

NSDAP-Anhänger war er jedoch bis 1933 nicht.3 Der Machtantritt der Nationalsozialisten musste ihn deshalb beunruhigen. In Württemberg waren im Frühjahr 1933 aus politischen Gründen 9 der 42 Schulräte entlassen worden;4 Wankmüller konnte aufgrund seiner "demokratischen Vorbelastung" leicht der zehnte sein.

Wie ist er mit dieser Bedrohung umgegangen? Die Spruchkammer Nürtingen hat das im Jahr 1948 nüchtern zusammengefasst: "Der Betroffene hat nun versucht sich gegen eine Amtsenthebung dadurch zu sichern, dass er selbst am NS teilnahm. Er hat sich lediglich aus kleinlicher Angst überall beteiligt und ist in jeder Organisation Mitglied geworden."5

Dem NSLB trat Wankmüller zum 1. April 1933 bei, auf den siegreichen Zug NSDAP konnte er aber bis zum Beginn der Aufnahmesperre am 1. Mai 1933 wegen seiner Vergangenheit nicht mehr aufspringen. Seine Loyalität zum NS-Regime hat er dafür durch Aktivitäten in mehreren NS-Organisationen unter Beweis gestellt - als Scharführer und Weltanschauungsreferent im NS-Kraftfahrerkorps (NSKK), als Kreisverbandsleiter in der NS-Volkswohlfahrt (NSV), als Kreisgeschäftsführer im Reichskolonialbund (RKB), als Mitglied im NS-Altherrenbund (NSAHB) und bei den NS-hörigen "Deutschen Christen" (DC). Anträge auf Mitgliedschaft in der NSDAP blieben aber zunächst erfolglos, deshalb ist er erst nach Ende der Beitrittssperre 1937 Parteigenosse geworden, und zwar "durch die Hintertür des NSKK", wie die Spruchkammer 1948 feststellte.6

Gotthold Wankmüller beließ es nicht bei der bloßen Mitgliedschaft. Seine verstärkte Macht über die ihm unterstellten Lehrkräfte (der Schulrat war jetzt ihr "Führer") stellte er seit Frühjahr 1933 skrupellos in den Dienst der Nationalsozialisten. Einige Beispiele:

  • Alle Eltern sollen linke Lehrer sofort melden (Nürtinger Tagblatt vom 22. April 1933).
  • Es würde ihn freuen, wenn ihn Schüler auf der Straße "statt dem umständlichen Kappenabnehmen durch Erheben der rechten Hand mit Heil grüßen wollen" (Rundschreiben vom Mai 1933).
  • "Das Gedankengut der nationalsozialistischen Bewegung soll für die Lehrer zum besonderen Studium gemacht werden. In den Arbeitsgemeinschaften wird daher ausschließlich im Sinne des Führers gearbeitet werden" (Anweisung vom Oktober 1933).
  • Rundschreiben an die Lehrkräfte seines Bezirks, dass bei der Volksabstimmung am 19. August 1934 von Lehrern "nachdrücklich und restlos für die Ja-Abstimmung geworben wird – auch dort, wo Ferien sind".
  • Lehrer Lindenlaub ist "staatspolitisch unzuverlässig" (Meldung von 1935): Lindenlaub kam wegen Rheuma einmal in Hausschuhen zur Flaggenhissung.
  • Wer sich als Lehrer den "Feierstunden der Partei grundsätzlich entzieht, stellt seine Eignung als Erzieher in Frage" (Rundschreiben vom Oktober 1941).7

Besonders widerlich ist der Feldpostbrief, den Wankmüller am 11. Februar 1940 als Hauptmann und Bataillonskommandant aus dem südpolnischen Krosno "an meine liebe deutsche Jugend im Schulbezirk Nürtingen" schrieb: "Da hättet ihr mich sehen sollen, wie ich unseren Kasernenhof vom Schnee säubern ließ […] durch 20 Juden, die ich regelrecht dressierte und zum Schippen antrieb! 2 ½ Stunden lang […]. Als nirgends Dachpappe aufzutreiben war, musste der Jude Altmann los. Unser Jude wurde wie ein Hund losgelassen: Nach einer Viertelstunde kommt er mit einer ganzen Rolle Dachpappe angekeucht. […] Die jüdischen Gauner sind aber keineswegs ausgestorben. Sie hamstern, schmuggeln, rauben und betrügen, wie es geht."8 In Krosno wurde zwischen 1940 und 1944 - also auch während Wankmüllers Anwesenheit - "eine unbekannte Zahl von Juden" ermordet.9

Nach Kriegsende urteilte der Nürtinger Lehrer Rudolf Schnitzler vor dem Kreis-Untersuchungsausschuss über Gotthold Wankmüller: "Der Betroffene war ein begeisterter Nationalsozialist, er versuchte auf alle Lehrer, die kein Amt in der Partei hatten, einen Druck auszuüben."10 Der Öffentliche Kläger wollte ihn in die Gruppe der Aktivisten einreihen; Wankmüller selbst sah das anders und beantragte die Eingruppierung als Mitläufer ("weil ich kein aktiver Pg. war").11

Die Spruchkammer Nürtingen durchschaute seine Prozesstaktik: "Der Betroffene hat mit einem Riesenaufwand von Papier und Entlastungszeugen versucht davon zu überzeugen, dass er nur den Mitläufer 'gemimt' hat." Gleichwohl zeigte sie sich ausgesprochen milde und stufte Wankmüller am 13. April 1948 als Mitläufer ein.12

Mit diesem gnädigen Urteil war Gotthold Wankmüller jedoch keineswegs zufrieden. Er hatte zur Urteilsverkündung ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand mitgebracht, das ihm Dienstuntauglichkeit bescheinigte - er wollte mit den vollen Pensionsansprüchen eines Schulrats in den Ruhestand versetzt werden. Während des Prozesses wurde ihm jedoch klar, dass er nur mit einer stark reduzierten Pension als Lehrer rechnen konnte, und deshalb zog er ein zweites Gutachten aus der Tasche, das ihm die volle weitere Diensttauglichkeit attestierte.13

Wankmüller wurde 'einfacher' Lehrer in Neuffen, wollte jedoch so schnell wie möglich wieder Schulrat werden; im Briefkopf nannte er sich noch "Schulrat 1929 – 1945". "Aber das kann er nicht wieder werden. Seit seiner Entnazifizierung hat er weder Einsicht noch Klugheit noch Geduld gezeigt", schrieb der Nürtinger Bezirksschulrat an den württembergischen Kultminister Theodor Bäuerle.14

Wankmüller blieb hartnäckig. Zwischen 1949 und 1951 bewarb er sich nacheinander um Schulratsstellen in Köngen, Göppingen und Schorndorf - immer vergeblich, was ihn verbitterte: Er sei schließlich nur "Parteianwärter [gewesen], den die Partei nur widerwillig dulden musste"; er habe nach dem Krieg auch "bewiesen, dass ich beispielhaft [für die Verfassung, Anmerkung M. Kuckenburg] gewirkt habe".15 Als das alles nicht half, verlangte er ein persönliches Gespräch mit dem württembergischen Kultminister Theodor Bäuerle. Der wimmelte ihn ab ("Arbeitsüberlastung"),16 worauf Wankmüller sich beim Leiter der Volksschulabteilung im Kultministerium, Erhard Schneckenburger, über die "gehässige Spruchkammer" beschwerte und der Erwartung Ausdruck verlieh, "dass einmal eine Abrechnung kommen wird über all das, was seit 1933 u. vor allem seit 1945 Deutsche an Deutschen gesündigt haben".17

Im September 1951 wurde Lehrer Gotthold Wankmüller pensioniert, eingruppiert in der Besoldungsstufe eines Schulrates.18 Er starb 1962.19

Bei seinen Bewerbungen um eine Schulratsstelle hatte er stets einen Satz aus dem Urteil der Spruchkammer zitiert: "Er war zweifellos ein guter Beamter und auch ein guter Schulmann."20 Den vorhergehenden Satz hatte er stets weggelassen: "Er ist einer jener 'Mitläufer', von denen anzunehmen ist, dass sie jedem Regime den Gefallen tun würden mitzumachen."21

Gottlob Wankmüllers Beamteneide22

  • Ich schwöre "zu Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass [ich] seiner Majestät unserem allergnädigsten König und Herrn treu und gehorsam sein, die Verfassung und die Gesetze unverbrüchlich beobachten“ werde. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!" Königreich Württemberg 1908
  • "Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und der Landesverfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten." Weimarer Republik
  • "Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe." September 1934
  • "Ich verpflichte mich, dass ich im Unterricht und in meiner ganzen Tätigkeit in der Schule mich vom Geist, von den Methoden und vom Ton des Nationalsozialismus fernhalten und die nationalsozialistischen Gebräuche, Symbole und Einrichtungen nicht nur selbst vermeiden, sondern auch meine Schüler davon abhalten werde." Sommer 1948
  • "Ich schwöre Treue der demokratischen Verfassung. Ich werde die Verfassung und die Gesetze des Staates achten, befolgen und verteidigen. Ich werde meine Amtspflichten jederzeit gewissenhaft erfüllen. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!" September 1949

Einzelnachweise

Mehr
  1. StAL: PL 516 Bü. 80, Schreiben von NSLB-Kreiswalter Gotthold Griesinger an die Gauwaltung des NSDAP-Amts für Erzieher (Walther Plenske) vom 14.12.1941.
  2. SAT: E193/2 Nr. 74, Schreiben von Bezirksschulrat Gotthold Wankmüller an das Amt für Erzieher Stuttgart vom 27.10.1943.
  3. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109, Spruchkammer Nürtingen vom 13.4.1948.
  4. Württembergischer Staatsanzeiger vom 5.4.1934.
  5. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109; Spruchkammer Nürtingen vom 13.4.1948.
  6. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109, Spruchkammer Nürtingen vom 13.4.1948.
  7. Tietzen u.a. 2011, S. 266.
  8. Zitiert bei Tietzen u.a. 2011, S. 298.
  9. Curilla 2011, S. 391.
  10. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109, Aussage Hugo Schnitzler vor der Spruchkammer Nürtingen vom 13.4.1948.
  11. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109, Selbsteinstufung Wankmüller vom 24.4.1946.
  12. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109, Spruch vom 13.4.1948.
  13. StAL: EL 204/1 Nr. 4099, Gutachten vom 13.4.1948.
  14. StAL: EL 204 I Nr. 4099, Schreiben des Nürtinger Bezirksschulrats {Name unleserlich} an Kultminister Theodor Bäuerle vom 7.1.1950.
  15. StAL: EL 204 I Nr. 4099, Bewerbungsschreiben von Gotthold Wankmüller um die Schulratsstelle in Köngen vom 13.2.1950.
  16. StAL: EL 204 I Nr. 4099, Antwortschreiben von Kultminister Theodor Bäuerle an Gotthold Wankmüller vom 8.3.1951.
  17. StAL: EL 204 I Nr. 4099, Schreiben von Gotthold Griesinger an den Präsidenten des Kultministeriums Württemberg, Erhard Schneckenburger vom 24.12.1951.
  18. StAL: EL 204 I Nr. 4099, Eintragung des Oberschulamts Stuttgart vom 9.3.1962.
  19. StAL: EL 204 I Bü. 4099.
  20. StAL: EL 902/17 Bü. 11.109, Spruch vom 13.4.1948.
  21. Zitiert bei Tietzen u.a. 2011, S.267.
  22. "Wir haben so ziemlich jeden Eid geschworen." in: Aktiver Ruhestand. Mitgliederzeitschrift der GEW Baden-Württemberg Nr. 1/2013.
  1. Württembergischer Staatsanzeiger vom 5.4.1934.

  2. Curilla, Wolfgang, Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939-1945, Paderborn 2011.

  3. Tietzen, Reinhard / Garski-Hoffmann, Petra / Kayser, André / Seischab, Steffen (Hg.), Nürtingen 1918-1950. Weimarer Republik - Nationalsozialismus - Nachkriegszeit, Nürtingen / Frieckenhausen 2011.

  1. Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL): EL 204 I (Oberschulamt Stuttgart: Personalakten von Lehrern an Volks-, Real- und Sonderschulen) Bü. 4099. Wankmüller, Gotthold (Schulrat).

  2. Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL): EL 902/17 (Spruchkammer Nürtingen) Bü. 11.109. Spruchkammerakten Wankmüller.

  3. Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL): PL 516 (NS-Lehrerbund (NSLB) Gauwaltung Württemberg Hohenzollern) Bü. 80. Tübingen.

  4. Stadtarchiv Tübingen (SAT): E193/2 Nr. 74.