
Kurzbiografie
Josef Tress
Josef Tress war ein wichtiger Exponent der NS-Verfolgung vermeintlich Asozialer. In Tübingen war er als Student sowie in der Nachkriegszeit mehrere Jahre wohnhaft.

- Name
- Josef Tress
- Rollen & Ämter
- Leitende Funktionen in mehreren Anstalten für "Asoziale"
- Geburtstag
- 04.07.1893
- Geburtsort
- Bremelau (Kreis Münsingen)
- Todestag
- 06.04.1975
- Todesort
- München
Josef Tress (Joseph Aloysius Treß) studierte ab 1911 Rechtswissenschaft und Philosophie in Berlin, 1912 bis 1913 Staatswirtschaft in München und ab 1918 Katholische Theologie und Kameralwissenschaften an der Universität Tübingen, wo er schließlich 1923 über „Die Verstaatlichung der Lebensversicherung” promoviert wurde.
Schon als junger Mann übte sich Josef Tress in der Dichtkunst und es gelang ihm, einige seiner Verse in angesehenen Literaturzeitschriften zu veröffentlichen. Seine Sujets schöpften sich neben seiner katholisch-karitativen Prägung aus seiner Faszination für sozial Randständige wie Insassen von Erziehungsanstalten, Wohnungslose oder Alkoholiker:innen. Auch das Anstaltsleben und die Persönlichkeitsprofile von Anstaltsleitern finden in seinem Werk als sog. Dichterjurist Niederschlag.
Der berufliche Werdegang Tress’ ist zeitlebens durch einen häufigen Wohnorts-, Anstellungs- und Branchenwechsel gezeichnet, was eher untypisch für seine Zeitgenoss:innen ist. So zog es ihn nach seinem Doktorat in Tübingen 1925 nach Berlin, wo er im Sozial- und Erziehungsdienst Fuß fasste. 1930 wurde er zunähst Erziehungsgehilfe in der reformpädagogischen Versuchsanstalt Lindenhof für «verwahrloste Knaben» in Berlin-Lichtenberg und stieg halb zum Hausvater auf. Als der Lindenhof 1933 geschlossen wurde, wechselte Tress kurzfristig in die Jugendhilfsstelle des Berliner Polizeipräsidiums. Im November 1934 übernahm Tress die Betreuung der männlichen Insassen in der Städtischen Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg sowie den dortigen Gesamterziehungsdienst. In dieser leitenden Funktion organisierte er zusammen mit dem Anstaltsdirektor August Rake die Zwangssterilisation von 195 Insassen, einige der Anträge liefen dabei über Tress’ Schreibtisch. Unter der Regie August Rakes wurden zudem einige Insassen wiederholt zur Zwangsarbeit eingesetzt und im Januar 1941 wurden 30 jüdische Personen in die Tötungsanstalt Bernburg deportiert.
Josef Tress trug mit seinem viel beachteten Aufsatz «die Asozialenfrage» (1942) zur Typologie und Stigmatisierung vieler Menschen bei. Zwangsarbeit sollte der «Resozialisation» der Betroffenen dienen, weshalb diese menschenverachtende Form der Ausbeutung den Alltag der Anstaltsinsassen bestimmte. Aus bislang ungeklärten Gründen trat Tress 1943 von seiner Stelle in Rummelsburg zurück und wechselte in den letzten Kriegsjahren mehrfach zwischen Anstellungen im süddeutschen Raum, in denen er wiederholt aufgrund persönlichen Misserfolgs entlassen wurde.
So war er nur wenige Wochen im Spätsommer 1943 in der Arbeiterkolonie Herzogsägmühle im Bayerischen Peiting beschäftigt. Diese Einrichtung, die sich vor allem auf die Vernichtung Obdachloser spezialisiert hatte und mehrere Insassen ins KZ Dachau deportierte, verließ Tress aufgrund persönlicher Differenzen mit dem Leiter Alarich Seidler. Es folgten mehrere kurzfristige Anstellungen im Verlagswesen im süddeutschen Raum, ehe Tress völlig unbehelligt durch das Ende des Regimes und die Entnazifizierung, im Rahmen derer er als „politisch nicht belastet“ eingestuft wurde, sich nach dem Krieg erneut den „Asozialen“ zuwandte: 1946 gelang es ihm, das verlassene landwirtschaftliche Gut Breithülen in der Nähe seiner Heimatgemeinde Münsingen zur einer „Bewahranstalt für asoziale Elemente, die der Fürsorgeerziehung nicht mehr unterstehen”, umzubauen.
In dieser Zeit (von 1946 bis 1949) war er wieder in Tübingen an der Wilhelmstrasse 70 gemeldet und zog Anfang 1949 nach Breithülen. Die veranschlagte Verfügungsmasse von 100 Zöglingen sollte neben eigenen Werkstätten vor allem in lokalen Handwerksbetrieben und einer Radiofabrik eingesetzt werden. Er schaffte es allerdings zu keinem Zeitpunkt, die Anstalt mit mehr als 20 bis 30 Personen zu belegen – was die Wirtschaftlichkeit der Einrichtung erheblich beeinträchtigte. Tress versagte in den Augen der Behörden auch in Breithülen als Anstaltsleiter; bereits 1949 wurde er aufgrund wirtschaftlichen Versagens abgesetzt. 1950 zog er nach München und wurde neben einer langjährigen Anstellung im Bundesjugendarchiv freiberuflicher Bauberater, bis er 1975 verstarb. Tress wurde nie für seine Tätigkeiten im NS-Anstaltswesen zur Verantwortung gezogen.
Dieser Beitrag stützt sich auf die langjährige historische Forschung von Bernhard Bremberger und Lothar Eberhardt. SL dankt herzlich für die wertvollen Rückmeldungen und Mitarbeit am Manuskript.
Publikationen
Bremberger, Bernhard, Eberhardt, Lothar, „Mein geniales Fiasko“. Der schwäbische Dichterjurist Josef Tress und der Landesheimathof Breithülen, in: Geschichtsverein Münsingen e.V. (Hg.), Münsinger Jahrbuch 2018-2021, Münsingen 2021, S. 93–109, https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://upgr-alt.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/PB2021/Bremberger-Josef-Tress202111.pdf (letzter Zugriff 27.03.2025).
Bremberger, Bernhard, Eberhardt, Lothar, Josef Tress im Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg (1934-1943) und als Leiter des Heimathofes Breithülen auf der Schwäbischen Alb (1948/49), in: Amthor, Ralph Christian, Kuhlmann, Carola, Bender-Junker, Birgit (Hg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten Sozialer Arbeit nach dem Ende des Nationalsozialismus, Weinheim, Basel 2022, S. 126–143.
Bremberger, Bernhard, Eberhardt, Lothar, Unfruchtbarmachung zur Verhütung asozialen Nachwuchses. Zwangssterilisation im Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg, in: Allex, Anne (Hg.), Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus. Kinder, Jugendliche, Frauen als sogenannte "Asoziale": Schwierigkeiten beim Gedenken, Neu-Ulm 2017, S. 304–314.
Detering, Heinrich, Dämmerungsglorien. Der Dichter Josef Tress (1893-1975) und seine Gedichte aus dem Fürsorgeerziehungsmilieu, in: Brückenschlag. Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur, Kunst 17, 2002, 51–57.
Eberl, Immo, Marcon, Helmut: 680. Joseph Aloys Tress, in: Eberl, Immo, Marcon, Helmut (Hg.), 150 Jahre Promotion an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen. Biographien der Doktoren, Ehrendoktoren und Habilitierten 1830-1980, Stuttgart 1984, S. 209.
Eberle, Annette, Herzogsägmühle in der Zeit des Nationalsozialismus: Beiträge zur Geschichte der bayerischen Obdachlosenhilfe, Peiting 1994.
Irmer, Thomas, „…die sogenannten asozialen Elemente ebenfalls zur Vernichtung reif machen…“ – Das Berliner Arbeitshaus Rummelsburg und die NS-"Euthanasie" 1940 bis 1942, in: Diercks, Herbert, Ehresmann, Andreas, Erpel, Simone, u. a. (Hg.), "Euthanasie"-Verbrechen. Forschungen zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bremen 2016, S. 67–80.
Irmer, Thomas, Reischl, Barbara, Nürnberg, Kaspar, Das Städtische Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg in Berlin-Lichtenberg – Zur Geschichte eines vergessenen Ortes der Verfolgung von ›Asozialen‹ in der NS-Zeit, in: Gedenkstättenrundbrief 8 (144), 2008, S. 22–31.
Tress, Josef, Bettelkönig. Gedichte und Zeichnungen von Lovis Wachlmeier, Münster, Leipzig, 1914.
Tress, Josef, Die Asozialenfrage in der Nachkriegszeit, in: Blätter der Wohlfahrtspflege in Württemberg-Baden 96, 1949, S. 52–55.
Tress, Josef, Die Asozialenfrage, in: Blätter für Gefängniskunde 72 (5), 1942, S. 163–210.
Tress, Josef, Profile – Gedichtszyklus aus dem Fürsorgeerziehungsmilieu, Potsdam 1933.
Tress, Josef, Vater unser. Gedichte. Regensburg, 1956.
Ziwes, Franz-Josef, Der Landesheimathof Breithülen. Ein gescheitertes Projekt südwestdeutscher Sozialpolitik in der Nachkriegszeit, in: Archivnachrichten des Landesarchivs Baden-Württemberg 46, 2013, S. 26, https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/Archivnachrichten_46.pdf (letzter Zugriff 27.03.2025).
Archivtexte
Staatsarchiv Sigmaringen, Wü: 13 T 2 Nr. 2416/053, Entnazifizierungsakte Dr. Josef Tress.