Kurzbiografie

Paul Schmitthenner

Schmitthenner besuchte das humanistische Gymnasium in Schlettstadt (Sélestat), ohne dort jedoch einen Abschluss zu erlangen. 1902-1907 studierte er Architektur an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Eine Anstellung am Hochbauamt Colmar kündigte er 1909 wieder, um im Büro des Architekten Richard Riemerschmid in München zu arbeiten – und von ihm zu lernen. 1914 erhielt er eine Anstellung als Architekt im Reichsamt des Innern. Dort realisierte er insbesondere für Munitionsarbeiter eine Reihe genossenschaftlicher "Reichsgartenstädte". Schmitthenner wurde 1918 auf den Lehrstuhl für für Baukonstruktion und Entwerfen der TH Stuttgart und in den "Arbeitsrat für Kunst" berufen und 1926 in die "Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen". Er gilt als "Regionalist und Traditionalist" 1 und gehörte zusammen mit Paul Bonatz zur so genannten "Stuttgarter Schule". 1928 verließ der den "Deutschen Werkbund" und gründete mit Bonatz (der kritisierte die Weißenhofsiedlung mit den Worten, sie erinnere "eher an eine Vorstadt Jerusalems" denn an Stuttgarter Wohnungen), Paul Schultze-Naumburg (NSDAP-Mitglied seit 1932, NSDAP-Reichstagsabgeordneter 1932-1945, wirkte als Direktor der Weimarer Kunsthochschule seit 1930 vor allem gegen das Bauhaus) und anderen eine gegen die Moderne gerichtete Architektenvereinigung namens "Block". 1931 begann Schmitthenner, mit dem "Kampfbund für deutsche Kultur" (KfdK), einer Organisation der NSDAP, zu kooperieren und für ihn öffentlich aufzutreten, im Juli 1932 war er Mitunterzeichner des Manifests "Deutsche Geisteswelt für den Nationalsozialismus", und im März 1933 trat er der NSDAP bei. Im selben Jahr wurde er zum "Reichsfachleiter für bildende Kunst" im KfdK ernannt, lehnte aber einen Ruf an die TH Charlottenburg ab. Regional bekannt ist vor allem die maßgeblich von ihm im Heimatschutzstil konzipierte Kochenhofsiedlung, deren früheste Planungen bis in das Jahr 1927 zurückreichen und die 1933 in Stuttgart als Gegenmodell zur Weißenhofsiedlung errichtet wurde – Vertreter des Heimatschutzstils und vor allem der KfdK lehnten das Flachdach als "undeutsch" ab. 1932 schrieb Schmitthenner: "Die Merkmale deutscher Baukunst sind entscheidend im deutschen Volkstum begründet, dessen Wesen wiederum bedingt ist durch das Stück Erde, mit dem es schicksalhaft verbunden, das die Wiege seiner Geschichte und Art ist. In der deutschen Baukunst offenbart sich dieses Wesen am sinnfälligsten in der Tradition."2 Voigt zufolge sei er in der Folgezeit in Gegnerschaft zu monumentalen Nazi-Baukonzepten geraten, insbesondere zur Umgestaltung Berlins ("Germania") und verschiedener im Kriege zerstörter Städte, während Nerdinger meint, er habe lieber in Stuttgart, dem Ort, wo er als Professor lehrte, bleiben wollen, und: "Dass Schmitthenner für ein sanftes, 'unscheinbares' Bauen im Sinne Adalbert Stifters plädierte, mag eine Divergenz zu den monumentalen Planungen insbesondere von Speer ausgedrückt haben, aber auch diese Haltung hat nicht das Geringste mit einer Distanzierung vom Nationalsozialismus zu tun, im Gegenteil, er wollte nur der rassistischen Bewegung, der er bis zu deren Ende 1945 als Parteimitglied angehörte, eine andere Richtung zu einem stärker mit den Wurzeln des 'Volkstums' verbundenen Bauen geben. Er trug eine Alternative, aber doch keineswegs eine Gegenposition zum NS-Bauen vor."3 Schmitthenner gelang es zwar 1947, vollständig entnazifiziert zu werden ("entlastet"), aber es gelang ihm nicht, seine Stuttgarter Professur wiederzuerlangen. 1953 wurde Schmitthenner in den Orden "Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste" aufgenommen. Nach der Zerstörung seines Stuttgarter Wohnhauses nahm er 1944 seinen Wohnsitz im Kilchberger Schloss. In Kilchberg baute er u.a. Grundschule, CVJM-Heim und Kriegerdenkmal, die Gemeinde ernannte ihn 1952 zu ihrem Ehrenbürger, und noch heute ist dort eine Straße nach ihm benannt. 1971 wurde Kilchberg in die Universitätsstadt Tübingen eingegliedert; dadurch gelangte er auf die Liste der Tübinger Ehrenbürger.

Einzelnachweise

Mehr
  1. Voigt 2007, S. 247.
  2. Schmitthenner 1932, S. 3.
  3. Nerdinger 2019, S. 29.
  1. Bayerische Akademie der Schönen Künste (Hg.), Süddeutsche Bautradition im 20. Jahrhundert. Architekten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München 1985, S. 181-218.

  2. Durth, Werner, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900-1970, Stuttgart / Zürich 2001.

  3. Dvorak, Helge, Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Band II: Künstler, Heidelberg 2018, S. 615-617.

  4. Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart (Hg.), Paul Schmitthenner. Kolloquium zum 100. Geburtstag, Stuttgart 1985.

  5. Gäßler, Franz-Severin, Poesie der Schönheit. Paul Schmitthenner 1884–1972. Rathaus Hechingen, Spätwerk, Kontext, München 2016.

  6. Müller-Menckens, Gerhard (Hg.), Schönheit ruht in der Ordnung. Paul Schmitthenner zum 100. Geburtstag. Ein Gedenkbuch, Bremen 1984.

  7. Nerdinger, Winfried, "Hans Poelzig, Paul Bonatz, Paul Schmitthenner. Die allmähliche Aufwertung, Normalisierung und Rehabilitierung der Konservativen, Opportunisten und NS-Mittäter", in: ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Urbanismus Nr. 235 (2019) S. 24-29.

  8. o.N., "Dr.-Ing. E.h. Paul (August) (Wilhelm) Schmitthenner, Architekt", in: archINFORM <deu.archinform.net/arch/1200.htm> (letzter Zugriff: 15.11.2020).

  9. o.N., "Paul Schmitthenner", in: Tuepedia <tuepedia.de/wiki/Paul_Schmitthenner> (letzter Zugriff: 15.11.2020).

  10. Pfeil, Ulrike, "Zum 100. Geburtstag des Architekten Paul Schmitthenner. Goethe und das Germanenhaus", in: Schwäbisches Tagblatt vom 15.12.1984.

  11. Plarre, Stefanie, Die Kochenhofsiedlung – Das Gegenmodell zur Weißenhofsiedlung. Paul Schmitthenners Siedlungsprojekt in Stuttgart von 1927 bis 1933, Stuttgart 2001.

  12. Schmidt, Dietrich W., "Das Phantom der Werkbundsiedlung 'Deutsches Holz' am Kochenhof 1932/33", in: Nerdinger, Winfried (Hg.), 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907/2007, München 2007, S. 207-209. (Ein Dankeschön an den Verfasser Dietrich W. Schmidt für den Hinweis auf diese Veröffentlichung!)

  13. Schmitthenner, Paul, Baugestaltung, Erste Folge: Das deutsche Wohnhaus, Stuttgart 1932.

  14. Schmitthenner, Paul, Das sanfte Gesetz in der Kunst in Sonderheit in der Baukunst. Eine Rede, Straßburg 1943.

  15. Schmitthenner, Paul, Die Baukunst im neuen Reich, München 1934.

  16. Voigt, Wolfgang / Frank, Hartmut, Paul Schmitthenner 1884-1972, Tübingen 2003.

  17. Wolfgang Voigt, "Schmitthenner, Paul", in: Neue Deutsche Biographie Band 23, Berlin 2007, S. 246–248.